Mit dem ICE durch Kalzendorf - oder knapp daran vorbei
Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8 - VDE 8
Wer von Kalzendorf aus verreisen wollte und als Verkehrsmittel die Bahn gewählt hat, der musste erst einige Kilometer Weg zurücklegen, bevor er in einen Zug einsteigen konnte. Mit der Inbetriebnahme der Bahnstrecke von Naumburg nach Artern am 1. Oktober 1889 war der von Kalzendorf nächstgelegene Bahnanschluss der knapp 4 Kilometer entfernte Bahnhof in Karsdorf.
Und auch heute ist das noch so - obwohl Kalzendorf jetzt viel näher am Streckennetz der Deutschen Bahn liegt und moderne ICEs direkt am Ortsrand von Kalzendorf vorbeifahren, nur eben nicht anhalten...
Osterbergtunnel - das Ostportal in Kalzendorf
Die Strecke, die südlich an Kalzendorf vorbei führt, ist ein Teil des größten Schienenverkehrsprojekts der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Es trägt die Bezeichnung Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8 (VDE 8) und umfasst den Neu- und Ausbau von Eisenbahnstrecken zwischen Nürnberg, Erfurt, Halle, Leipzig und Berlin auf einer Gesamtlänge von 515 Kilometern.
Kalzendorf zwischen Skandinavien und Palermo
Das Vorhaben wird damit zu einem wichtigen Teilstück der Hochgeschwindigkeitsachse Berlin-München und ebenso zur Eisenbahnachse Berlin-Palermo des Transeuropäischen Verkehrsnetzes von Skandinavien bis ans Mittelmeer im Süden Italiens.
Das Teilstück bei Kalzendorf VDE 8.2 ist die 123 Kilometer lange und für eine Höchstgeschwindigkeit von 300 Kilometern pro Stunde ausgelegte Neubaustrecke von Erfurt nach Leipzig/Halle. Die Strecke ist für den hochwertigen Reise- und Güterverkehr konzipiert, die Planung dafür begann im März 1991 und 1992 wurde die Linienführung festgelegt.
Auf der Neubaustrecke liegen sechs Brücken mit einer Gesamtlänge von 14,4 Kilometern und drei Tunnel von insgeamt 15,4 Kilomtern Länge - wovon ein Tunnel, der Osterbergtunnel, mit dem Ostportal direkt neben Kalzendorf endet. Der Tunnel hat zwei eingleisige Röhren mit einer Länge von jeweils 2082 Metern, die durch vier Querschläge miteinander verbunden sind. Im Westen schließt sich bei Karsdorf die Unstruttalbrücke mit einer Länge von 2668 Metern an das Westportal des Tunnels an - es ist die nach der Saale-Elster-Talbrücke zweitlängste Eisenbahnbrücke in Deutschland.
Bau des Osterbergtunnels - Anschlag, Durchschlag, Tunnelknall
Die Bauarbeiten für den Osterbergtunnel begannen in der zweiten Jahreshälfte 2008 mit der Anlage der Baugrube und des 500 Meter langen und 18 Meter tiefen Voreinschnitts am Ostportal. Der Vortrieb der beiden Röhren startete mit dem feierlichen Tunnelanschlag am 18. Februar 2009 im Beisein der beiden Tunnelpatinnnen Petra Wernicke (damalige Landwirtschaftsministerin Sachsen-Anhalts) und Christine Bannert (Ehefrau des damaligen Landrates des Saalekreises Frank Bannert). Der Durchschlag für beide Röhren erfolgte Mitte November 2009.
Um die beiden Tunnelröhren mit einem Durchmesser von je 9,6 Metern herzustellen, wurden rund 600.000 Kubikmeter Material ausgebrochen und im Tagebau des Zementwerks Karsdorf verfüllt. Die minimale Überdeckung der Tunnelröhren liegt bei 3 Metern, die maximale Überdeckung bei 35 Metern. Der Abstand der beiden Gleisachsen beträgt 25 Meter.
Für modernsten Schallschutz wurden beide Portale des Osterbergtunnels mit Haubenbauwerken versehen, die den so genannten Tunnelknall verhindern. Beim Durchfahren von Tunneln mit hoher Geschwindigkeit schieben Züge große Luftmassen vor sich her, die sich immer mehr aufstauen können und im ungünstigsten Fall am Tunnelausgang einen lauten Knall verursachen - ähnlich einer Gewehrkugel an der Mündung des Laufs. Durch spezielle Bauwerke wird an den Tunnelausgängen dafür gesorgt, dass sich die Druckwelle geräuschlos verwirbeln und ausbreiten kann und somit der Tunnelknall verhindert wird.
Für die Portalbauwerke auf beiden Seiten des Tunnels wurden allein insgesamt etwa 3000 Kubikmeter Beton und 200 Tonnen Bewehrungsstahl verbaut.
Im Jahre 2012 war der Osterbergtunnel im Rohbau fertiggestellt.
DB Infozentrum Kalzendorf an der Osterbergtunnel-Baustelle
Ab dem 19. Juni 2012 befand sich an der Tunnelbaustelle in Kalzendorf das Informationszentrum zur Neubaustrecke Erfurt-Leipzig/Halle Abschnitt VDE 8.2, ab April 2017 war die Ausstellung in Pfännerhall, Braunsbedra zu sehen.
Die Inbetriebnahme der Neubaustrecke Erfurt-Leipzig/Halle VDE 8.2 erfolgte im Dezember 2015. Die neugebaute Bahnstrecke verkürzt die Reisezeit zwischen Erfurt und Leipzig von 70 auf 43 Minuten und zwischen Erfurt und Halle von 75 auf 34 Minuten.
Karte erstellt mit mapz.com
Bild Eisenbahnachse Berlin-Palermo (bearbeitet: Kalzendorf eingefügt): Bernese media / unter der angegebenen Lizenz
Bild Unstruttalbrücke: Katrin Bothur
Prosspekt Neubaustrecke Erfurt-Leipzig/Halle - Osterbergtunnel: Deutsche Bahn AG / Kommunikation
Zeitungsausschnitte: Mitteldeutsche Zeitung, Super Sonntag
Artikel: Winzer fürchten um Qualität ihrer... : Neue Zeit vom 17.06.1993 / dfg-viewer.de